Die Geschichte – meine Geschichte – des TGNY100 – hat sich schon vor dem Anfang ewig hingezogen. Jürgen lag mir schon seit Jahren in den Ohren; „…den musst Du unbedingt laufen…“ – „… eine unglaubliche Atmosphäre…“ – „New York in allen Facetten…“ was man halt als Verkäufer so sagt. Jahrelang hab ich widerstanden, für einen zusagefreudigen Charakter wie mich eine ultralange Zeit. Doch dann kam irgendwann das Argument „…Phil machts nicht mehr lange …“ (also das Rennen organisieren), und da setzte ein Denkprozess ein. Die sonstige Jahresplanung wäre ja eine gute 100-Meilen-Vorbereitung, 30 Stunden müsste machbar sein, und überhaupt machbar sei das bestimmt. Die Startplätze waren innerhalb von 30 Minuten weg, überlegen war also nicht und der Startplatz war gebucht…
Die Vorbereitung selbst lief perfekt – bis eine Woche vor den 100km in Rheine. Eine billige Erkältung bremste mich soweit aus dass an einen schnellen 100er nicht zu denken war. Versucht hab ich es trotzdem, ok, ich hatte schon bessere Ideen. Auch der 2. Versuch zwei Wochen später hätte ich wohl besser lassen sollen, da ich den Trail du Petit Ballon auch nicht missen wollte… so beschränkte sich die Vorbereitung auf die zähen langen Sachen am WE, und Ruhe unter der Woche. Generalstabsmäßig vorbereitet geht anders, wobei… nicht alle Pläne machen auch Sinn…
Eines musste aber sein: das Taxi für die 6km zum Start. Die Busvariante war uns kurz vor 4 Uhr früh zu unsicher. Direkt am Times Square restliche Stararmbandausgabe
OLYMPUS DIGITAL CAMERA
OLYMPUS DIGITAL CAMERA
(Startnummern ist nicht) drop bags abgeben, Fotos machen… bis hierher noch völlig normal. Insgesamt 6-7 deutsche Starter waren dabei, neben Patricia auch Annett, die immer noch behauptet ich hätte sie vom ultralaufen überzeugt. Sagt jemand die sich selbstständig zum Mauerweglauf anmeldet… zum Glück war unser Anfangstempo identisch, das Tempo die ganzen ersten 166km lang… so flanierten wir erst über den Broadway zum Columbus Circle, von dort durch den Central Park.
Da wurde auch gerade für irgendeine Sportveranstaltung aufgebaut, nicht für uns… die VP-Tische waren ca 20 Meter lang…Dann ging es weiter in den Norden an den Hudson River
und mit der George-Washington-Brücke wurde die erste imposante Brücke unterquert.
Jetzt wurde mir aber schon bald klar, warum der TGNY nicht so ganz einfach ist, mit dem Inwood Hill und dem Vault Hill wurden in den folgenden Parks auch alle „Berge“ mitgenommen, keine Alpen, aber wenn so ein Ding 70m hoch ist und teilweise auf schmalen trails „bestiegen“ wird geht das schon ein bißchen aufs Tempo.
nach einer typischen Hochbahn
kam dann ein erster Höhepunkt, zumindest für mich: auf Twin Island am Orchard Beach nach 38km kamen wir zum ersten Mal an den Atlantik, ein menschenleerer, aber wirklich wunderschöner Strand.
Etwas wild geht es dann die Wendeschleife zurück und in einem großen Bogen durch die Bronx. Sicher ist da nicht alles Gold was nicht glänzt, aber es gab durchaus auch schöne Ecken an den vielen Sportanlagen, den Baseballplätzen, an der John McEnroe-Akademie vorbei, nur der Name des Weges schien zumindest diesem Abschnitt nicht ganz angemessen…
Über die Robert-Kennedy-Brücke führt die Strecke dann nach Queens, eine Brücke die schon in der Team-Hanka-Satzung steht, nicht weil sie aus Holz ist, sondern weil das hochlaufen hier echt schwer fällt…
Nach der Brücke war aber mit km60 ein erster Teil der Strecke schon geschafft, zelebriert mit einem VP. Schönheitsfehler: der VP ist direkt neben einem Spielplatz postiert, und da darf von gesetztestreuen Bürgern kein Bier konsumiert werden. Vorteil: ab hier dürfen die Läufer begleitet werden, und diese Aufgabe übernahm Rene, der mit seinem Citi-Mietrad selbst bald eine kleine Bekanntheit beim TGNY wurde. Das Bier hab ich dann an einer Hotelbar am Flughafen LaGuardia nachgeholt…
Irgendwann da muß bei km70 auch einer meiner Lieblings-VP gewesen sein, beste Stimmung, Top-Kuchenbuffet, direkt am Wasser, vor dem Stadion der Mets…
An der Throgs Neck Bridge vorbei
zieht sich die Schleife dann in einem großen Bogen durch wirklich schöne Ecken von Queens hin zum Flushing Meadows Corona Park, einem riesigen sehr gut bevölkertem Freizeitgelände.
Allein die Tatsache daß ich mich in diesem Bereich noch an so viele Einzelheiten erinnern kann zeigt schon daß es zu diesem Zeitpunkt noch ganz gut lief, es war schön, das Wetter perfekt und mit dem GPS und Rene als Pfadfinder kamen wir auch nie vom Weg ab. So freuten wir uns auf die Marke 100km, aber die kam erstmal nicht, sondern erst als wir schon über 102km auf der Uhr hatten. Sicherlich nicht viel, aber für eine kleine Delle hat es schon gereicht. Eine etwas größere Delle gab es, als mein drop bag am VP 100km nicht aufzufinden war. Hajo suchte zwar wie wild, aber was nicht da ist kann nicht gefunden werden… Olga (Hajos Frau, muss ich erst 100 Meilen laufen damit ich sie mal kennenlerne…) suchte daraufhin diverse Energiegels zusammen, aus der Konkursmasse von ausgestiegenen Läufern durfte ich mich auch bedienen, also ging es nach 15 Stunden weiter. Da schwante mir auch schon, daß die 24 Stunden als Zielzeit etwas schwierig werden würden. Noch deutlich mehr als 60 Kilometer übrig und die Nacht vor der Brust. Naja, egal, Hauptsache weiter war das Motto. Jetzt kamen aber bald die Abschnitte die mir schier unglaublich endlos vorkamen: Rund um die Jamaica Bay am Kennedy-Flughafen führt die Strecke in unendlich langen Geraden auf Dämmen und Brücken zum Atlantik, dann links, wieder 6km gerade, links ab und 6km geradeaus… Hier begann zum ersten Mal das Motivationstief sehr tief zu werden. Die Beine tun einfach nur weh, nur Sitzpausen bringen kurzfristig Abhilfe, da war die Verrazano-Narros-Bridge (Startort für den NYC-Marathon) in der Nacht schon ein echtes Highlight!!
Als Wachmacher nahm ich in Ermangelung meines Spezial-guarana-Koffein-drinks einfach direkt die Kaffee-Bohnen aus der Sambuca-Ära, da muß man zwar gut beißen und kauen, aber wirken tut es auch!
Die New Yorker Polizei ließ es sich auch nicht nehmen am Strand für Abwechslung zu sorgen, plötzlich fuhr da so ein SUV neben uns und der Fahrer fragt Rene was er denn da mit seinem Citibike machen würde, da der Kaudelsch recht schwer zu verstehen war übernahm ich leicht genervt die Übersetzung:
– Was macht der denn da mit dem Rad?
– Na schieben, das sieht man doch…
– Darf der das mit dem Rad?
– Warum sollte er nicht, ist hier doch ein freies Land…?
– Ja, aber viele Vermieter schließen aus mit dem Rad so weit raus zu fahren
– Keine Sorge – ist alles abgeklärt, warum willst Du das überhaupt wissen?
– Weil ich ein Cop bin!
– Das kann ja jeder sagen… ich würde gerne mal den Ausweis sehen…
Also stieg der Cop aus, öffnete sein Hemd, zeigte Marke, Ausweis, Handschellen, Knarre… plötzlich ging mir der Arsch schon leicht auf Grundeis… aber die Jungs hatten soviel Stil daß sie noch für ein Foto posiert haben!!
Durch solche diverse Ablenkungen kamen wir zum VP bei km148. Aber dort ging gar nichts mehr. Körpergefühl bei nicht bei null, sondern da noch weit drunter. Schmerzen überall unterhalb der Gürtelllinie. Einfach auf den Rasen gelegt und unwirsch auf die Helferin geantwortet, die mir in unendlicher Geduld Essen und trinken angeboten hat, und scheinbar Angst hatte daß ich komplett wegdämmere. Auf die Frage warum ich überhaupt hier bin habe ich erstmal mich verflucht, dann auf Jürgen geschimpft der an wirklich allem Schuld ist… Dieser Ausbruch von Energie hat Juliette davon überzeugt daß ich doch nicht kurz vorm sterben bin, und sich hat mich dann 10min dösen lassen, mich anschließend mit so einem 5h-Energie-drink aufgepäppelt und mich mit den Worten „100 Meilen können halt auch mal weh tun… wieder auf den Weg geschickt.
Irgendwann wurde es dann auch hell, die stundenlangen Geraden durch Brooklyn sind aber nicht so der absolute Brüller. Was aber hilft ist der Gedanke „nur a bisserl geradeaus (= 6km), dann bissl durch Nebenstraßen, dann kommt schon die Brooklyn bridge… Das überqueren dieser Brücke zu Fuß wird auch für Touristen empfohlen, weil man einen super Blick auf Manhattan hat, ist auch ein schlichtweg geiles Gefühl wieder in auf diesen Moloch zuzulaufen, selbst wenn er sich wie bei uns leicht geziert hat…
Ja und dann… geht es nur noch 5km den broadway
entlang zum Ziel am Times Square, durch little Italy, chinatown, das wollte nicht aufhören… und doch war es bald zu Ende, nach 26:31h im Ziel am Times Square
und ich bin immer noch geflashed… ein Wahsninnslauf durch eine Wahnsinnsstadt, unglaubliche Helfer, unglaublicher Freundlichkeit, eine immer gut gelaunte Begleitung die nur 1x geflucht hat… und Rene der seinem Hintern tatsächlich 100km auf einem billigen Mietrad angetan hat…
Einfach einen riesigen Dank an alle für dieses unbegreifliche Erlebnis!!!